SPANIEN

 

Die Iberische Halbinsel unterlag seit dem Einfall der Araber (711) mehr und mehr islamischer Herrschaft und damit kultureller Einflüsse des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas. Aus der Zeit der Omaijaden-Herrscher (711-756) sind wenige Zier- und Gebrauchskeramiken als besonders wertvolle Stücke in den Museen des Landes erhalten. Erst bei Entstehung spanisch-muselmanischer Kunst zur Zeit des Omaijaden-Emirats (756-929) fanden glasierte Keramiken Anwendung in der Architektur. Höhepunkt spanisch-muselmanischer Baukunst war der Bau der großen Moschee in Córdoba. Von der Errichtung eines Omaijaden-Kalifats im Jahre 929 bis 1031 erreichte die islamische Baukunst in al-Andalus (Andalusien) ihren Höhepunkt.
Architekten und Bauhandwerker eiferten der Architektur von Bagdad, Samarra, Tunis und den Städten Ägyptens nach. Somit fanden auch Fliesen vermehrt Verwendung. Die politische Teilung des Landes (1031-1086) brachte nach dem Zerfall des Kalifats von Córdoba in Taifas ein Aufleben der Herstellung und Verwendung von Fliesen in den neuen Zentren Toledo, Zaragoza, Denia, Almería und Sevilla.
Unter der Herrschaft von Almoraviden und Almohaden (1088-1232) entwickelte sich durch religiös bedingte Ablehnung schöner Künste eine strenge und nüchterne Architektur. Die Kombination unglasierter Ziegel mit wenigen glasierten Fliesen ist ein Stilelement dieser Epoche. Im Nazari-Reich (1232-1492) lebte die Fliesenherstellung wieder auf und erreichte in Herstellung und Verwendung größte Perfektion. Schöne Beispiele sind die Fliesenarbeiten in den Räumen von Santo Domingo de Granada, einem ehemaligen Nazari-Palast. Die Alhambra von Granada, das letzte islamische Monument der Iberischen Halbinsel, ist das prächtigste Bauwerk dieser Epoche. Besonders sehenswert sind die Fliesen im Saal der zwei Brüder und im Gefangenenturm.

Granada, Alhambra
Der wuchtige >Torre de Comare< beherrscht den nördlichen Teil des Myrtenhofes.
Im Arkadengang des >Patio de los Arrayanes< (Myrtenhof) sind die keramischen Wandsockel aus >Aliceres< gefertigt.

 

Granada, Alhambra
Keramische Wandbekleidungen spiegeln sich im Wasserbecken der >Patio de los Arrayanes<.

 

Granada, Alhambra
Detail einer Wandbekleidung aus dem Haremsbezirk.
Ein Geflecht von Linien in der Art eines Spinnennetzes ergibt  ein vieleckiges Gitternetz und sternförmige Dekors.
Den Abschluss bildet ein Zackenfries aus stark stilisierten Palmetten.

 

Granada, Alhambra
Detail einer keramischen Wandbekleidung aus der >Sala de los Embajadores<.

 

Eine um 1400 vermutlich in Malaga für die Alhambra von Granada gefertigte Fliese.
Die Wappeninschrift war die Devise des Gründers des Königreichs von Granada.
Sie lautet: >Es gibt keinen Gott außer Gott<.

 

Eine Besonderheit stellen die 'soccarat'-Fliesen oder 'azulejos por tabla' dar, die zwischen Balken auf Leisten aufgelegt eindrucksvolle Deckenflächen bilden wie zum Beispiel im Kreuzgang des Klosters von Santa Clara in Sevilla.

Delft, Museum Lambert van Meerten
Eine Deckenfliese aus Teruel. Wahrscheinlich Valencia, 14. Jahrhundert.

 

Rotterdam, Museum Boymans van Beuningen
Deckenfliesen in Lüstertechnik aus Toledo, 16. Jahrhundert.

 

Rotterdam, Museum Boymans van Beuningen
Deckenfliesen in Lüstertechnik mit dem Wappen der Medicaneli, Toledo, 16. Jahrhundert.

 

Nicht weniger wertvoll sind die im maurischen Stil für die neuen christlichen Herrscher gefertigten Fliesenarbeiten, die man zum Beispiel im Alcázar oder Palacio Real in Sevilla bewundern kann.
Nach der Reconquista, der Rückeroberung des Landes durch christliche Heere, blieb die Fliese als Wandbekleidung sowie als Boden- und Stufenbelag weiterhin wichtiges Bau- und Dekorationselement
Werkstätten aus Valencia, Manises und Paterna lieferten Fliesen in hervorragender Qualität, darunter auch Fliesen mit Lüsterglasuren, in viele europäische Staaten und sogar in den Vorderen Orient. Valencianische Keramik gewann die Vorherrschaft im gesamten Mittelmeerraum. Ein Großteil exportierter Keramik gelangte über Mallorca als Umschlagplatz nach Italien. Die Bezeichnungen 'Majolika' in deutsch, 'mayólika' in spanisch, in italienischer Sprache 'maiolica' und im Sprachgebrauch der Toscana 'majorca' sind von Mallorca, dem spanischen Umschlagplatz von Fliesen, abgeleitet.
In Sevilla - vor allem im Vorort Triana - und in Toledo wurde die Tradition der Fliesenherstellung ebenfalls nach der Reconquista beibehalten. Keramiker entwickelten dort die Dekortechniken 'de cuerda seca' und 'de cuenca'. Bei der Technik 'de cuerda seca' ritzte man das Ornament in die lederharte, noch nicht gebrannte Fliese und füllte die so entstandenen Rillen mit fetthaltiger Masse. Beim Brand verhinderte diese aufkochende Masse das Ineinanderfließen der unterschiedlich eingefärbten Glasuren. Beim zweiten 'de cuenca' oder 'de arista' genannten Verfahren wurden die Abgrenzungen der Farbglasuren durch Profilierung der Fliese erreicht.

Den Haag, Gemente Museum
Cuenca-Fliese mit Hahnentrittmuster aus dem 15. Jahrhundert.

 

Sevilla, Alcazar
Cuerda-Seca-Fliesen, Sevilla, 16. Jahrhundert.
Auf einer Fliese oder auf einem Rapport von vier Fliesen wiederholen sich hauptsächlich geometrische Muster der arabischen 'alicatados'.

 

London, Victoria & Albert Museum
Cuenca-Fliesen aus Toledo, 16. Jahrhundert.

 

Der Mudéjar-Stil, die spanisch-islamische Kunstrichtung nach der Reconquista, in der sich unter christlicher Herrschaft lebende maurische Künstler den Wünschen ihrer Auftraggeber anpassten, spiegelt deutlich die geistige Einstellung dieser Epoche.
Um 1500 kam der italienische Keramiker und Keramikmaler Francesco Niculoso aus Pisa nach Sevilla. Er lieferte im Jahre 1504 Fliesen für den königlichen Palast, den Alcazar von Sevilla und signierte die Altarbekleidung mit 'NICULOSO FRANCISCO ITALIANO ME FECIT'. Weitere Fliesenbilder schuf er zum Beispiel für die Klöster Santa María de Tendudía (Sierra Morena, bei der Stadt Calera de León), Santa Paula (Sevilla) und die Kirche Santa Anna (Triana). Ein von Francesco Niculoso signiertes Fliesenbild rettete man aus den Trümmern eines Palastes in Lissabon, nachdem die Stadt durch ein Erdbeben 1755 zerstört wurde. Dieses Tableau befindet sich heute im Rijksmuseum in Amsterdam. Auch Niculosos Sohn Juan Batista schuf Fliesenbilder. Zwei Arbeiten von ihm befinden sich im Gemeente-Museum, Den Haag.

Den Haag, Gemeente Museum
Der heilige Thomas, einer der zwölf Apostel Christi. Juan Batista Nicoluso, Sevilla, 1530.

 

Aus der Blütezeit polychromer spanischer Fliesenmalerei von ca. 1500 bis ca. 1650 sind vor allem die folgenden Fliesenmaler zu erwähnen: Roque Hernández, Alonso García, Christóbal de Augusta, Juan und Diego Polido, Francisco Pacheco und Oliva de Toledo.

Sevilla, Casa de Pilatos
Fliesen im späten Mudéjar-Stil findet man im Palast der Herzöge von Tarifa.
Die meisten Fliesen wurden in der Werkstatt von Juan und Diego Polido um 1536 in Sevilla gefertigt.

 

Sevilla, Casa de Pilatos
Detail einer Wandbekleidung aus Cuenca-Fliesen mit dem Wappen von Leon und Kastilien

Mitte des 16. Jahrhunderts führten politische und wirtschaftliche Beziehungen zwischen Spanien und den spanischen Niederlanden zu einer Einwanderung flämischer Keramiker und zur Übernahme flämischer Stilelemente in die Bemalung von Fliesen. Diese Bemalung mittels eingefärbter Glasuren auf einer den Scherben abdeckenden Lage Zinnglasur löste die Dekoration von Fliesen im Mudéjar-Stil ab.

Sevilla, Alcázar
Fliesenbekleidung im Saal Carlos V. Die Fliesen wurden von Christobál de Augusta in Sevilla bemalt.

 

Sevilla, Alcázar
Groteske mit Datierung 1578 und der Signatur des Christóbal de Augusta.

 

Sevilla, Alcázar
Von Christóbal de Augusta gemalte Groteske

 

Sevilla, Convento de Santa Paula
Viertelsäulen sind in die keramischen Wandbekleidungen einbezogen.
Die Bemalung der Fliesen und der keramischen Formstücke wird Antonio Sambarino zugeschrieben.

 

Sevilla, Convento de Santa Paula
Die Bemalung der Fliesen wird Antonio Sambarino zugeschrieben.

 

In der Zeit des Barock war die Region Valencia das Zentrum der Fliesenproduktion. Heute findet man noch in vielen valencianischen Kirchen und öffentlichen Gebäuden wie zum Beispiel in der Lonja de la Seda (Seidenbörse) wunderschöne Fliesenwände und Fliesenböden aus dieser Zeit. Historische, biblische und mythologische Darstellungen sind zum Teil in ornamental dekorierte Flächen integriert.
In vielen Orten wurden großflächige Heiligenbilder (paneles callejeros) an Außenwänden angesetzt.
Bald fand die Fliese ihren Weg in die Küchen. In Bekleidungen aus Ornamentfliesen sind oft auf Tableaus Personen dargestellt, die einer Küchenarbeit nachgehen (panel de cocina). Es finden sich aber auch auf Fliesen gemalt Küchengeräte, Obst, Gemüse und Haustiere.

Valencia, Museo Nacional de Cerámica
Valencianische Küche des 18 Jahrhunderts

 

Valencia, Museo Nacional de Cerámica
Valencianische Küche des 18 Jahrhunderts

 

Valencia, Museo Nacional de Cerámica
Das Tableau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts zeigt eine im Freien tafelnde Gesellschaft.

 

Valencia, Museo Nacional de Cerámica
Die Darstellung von Küchenarbeiten (panel de cocina) war ein beliebtes Thema für die valencianischen Fliesenmaler des ausgehenden 18. Jahrhunderts.

Unter dem Bourbonen Carlos III. (1731-1735 Herzog von Parma, 1723-1759 König von Neapel und Sizilien) breitete sich französischer Einfluss in Spanien aus. König Carlos III. ordnete die Errichtung von Fayencemanufakturen in Alcora (bei Castellón) und in Madrid an. Die Bemalung der Fliesen aus diesen Werkstätten zeichnet sich durch sehr genaue Zeichnung der Ornamente und zarte Pastellfarben aus.
Fliesen aus Katalonien waren bis zum 16. Jahrhundert weitgehend an Fliesen aus Valencia oder Talavera orientiert. Erst im 17. Jahrhundert fand man in Katalonien eine eigene Stilrichtung. Außer großen religiösen Wandbildern wurden Ornamente auf Fliesen in vielfältiger Art gemalt. Eine Besonderheit stellen die katalonischen 'azulejos de oficios' (Handwerkerfliesen) dar.

London, Victoria & Albert Museum
Katalanische Fliese des 19. Jahrhunderts

London, Victoria & Albert Museum
Katalanische Fliese des 19. Jahrhunderts

Im 19. Jahrhundert expandierte die Fliesenproduktion. Durch Einführung vorindustrieller Techniken (z.B. Schablonenmalerei) wurden Fliesen für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich.
"Non ava casa con azulejos", sagt der Kastilianer, wenn er jemanden als armen Teufel bezeichnen will. Ein Haus ohne Fliesen war und ist in Spanien kaum denkbar.

Den Haag, Gemeente Museum
www.gemeentemuseum.nl

Delft, Museum Lambert van Meerten
www.prinsenhof-delft.nl

London, Victoria & Albert Museum
www.vam.ac.uk

Rotterdam, Museum Boymans van Beuningen
www.boijmans.nl

Valencia, Museo Nacional de Cerámica
http://mnceramica.mcu.es