ITALIEN

Früheste Zeugnisse glasierter und dekorierter italienischer Fliesen sind die von den Kirchenstufen und dem Boden der Basilica di San Francesco in Assisi. Sie dürften schon während der ersten Bauphase der Kirche (1228-1253) angesetzt und verlegt worden sein. Die Fliesen sind jetzt an einer Wand der Basilika angebracht.

Basilica di San Francesco in Assisi


Aus der Zeit um 1350 stammen die diagonal angesetzten Fliesen an der Außenwand der Apsis von San Martino in Lucca. Phantasiegeschöpfe, groteske Menschenköpfe, das Pisaner Kreuz und weiße Amphoren zieren diese 28x28 cm messenden Fliesen.
Der älteste erhaltene keramische Bodenbelag aus glasierten und dekorierten italienischen Fliesen wurde wahrscheinlich 1427 in der Cappella Caracciolo del Sole der Kirche San Giovanni a Carbonara in Neapel verlegt. Köpfe im Profil, heraldische Motive, Palmetten, stilisierte Blumen und Früchte schmücken diese Fliesen.
Auch dem 15. Jahrhundert zugehörig sind die Fliesenböden in einer Kapelle der Kirche San Pietro a Maiella und der Cappella Pontano, beide ebenfalls in Neapel.
Rom ist die Stadt, in der man schöne Zeugnisse von Fliesenböden des 15. Jahrhunderts findet. In der Engelsburg, deren Mauern einigen Päpsten für längere Zeit Schutz boten, sind vor allem die Fliesen mit den Wappen mehrerer Päpste besonders sehenswert. Die ältesten Exemplare wurden von Papst Niccolò in der Zeit 1447-50 in Auftrag gegeben. In der Kapelle Leos X. liegen Fliesen, die 1515 wahrscheinlich in der Werkstatt des Andrea della Robbia gefertigt wurden.

Fliese aus den >>Loggie di Raffaelo<< im Vatikan. Die Fliese wird der Werkstatt der della Robbia zugeschrieben. Der Maler hat den spanisch-maurischen Stil kopiert (um 1500).

 

Der Fliesenboden in der Bologneser Kirche San Giacomo Maggiore, den Papst Johannes II. zwischen 1486 und 1494 in seiner Hauskapelle verlegen ließ, wird ebenfalls der Werkstatt Andrea della Robbias zugeschrieben.
Aus 1487 datiert der Fliesenboden in der von Vaselli errichteten Kapelle San Sebastiano der Chiesa San Petronio in Bologna.
1494 kamen gemäß schriftlicher Aufzeichnungen im Archiv der Gonzaga im Castello Vecchio der Isabella d'Este, Herzogin von Mantua, dreizehn Kisten mit Fliesen an, die im Jahr zuvor in der Werkstatt des de' Fedeli in Pesaro gefertigt wurden. Isabella d'Este ließ neben dem Wappen ihres Mannes, fünf Motive malen. Vier dieser Motive sind mit Devisen in deutsch, französisch, spanisch und griechisch versehen, jenen Sprachen, die an ihrem Hof gepflegt wurden.
Die wenigen noch in Museen (Mantua, Mailand und London) erhaltenen Fliesen haben trotz ihres Alters und mancher Beschädigung den opalisierenden Schimmer ihrer Glasur erhalten.
Etwa aus gleicher Zeit stammen Fliesen mit Rosetten und Blumen, die in den vatikanischen Gemächern der Borgia (im Saal "delle Scienze e delle Arti liberali") angesetzt wurden. An der Wand unterhalb des Kamins haben sich noch Fliesen im Originalzustand erhalten.
Im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts wurden Fliesenböden vor allem in Cafaggiolo, Deruta , Faenza, Florenz, Gubbio, Pesaro, Siena und ab Mitte des 16. Jahrhunderts in Caltagirone, Castelli und Savona gefertigt. Stiche von Andrea Mantegna, Jacopo de' Barbari, Marcantonio Raimondi, Pellegrino da San Daniele aber auch von Albrecht Dürer und Martin Schongauer beeinflussten die Dekorationen.
Ein von der Familie Lando 1510 in Faenza für ihre Kapelle in Venedigs Kirche San Sebastiano in Auftrag gegebener Fliesenboden liegt heute noch in einigermaßen gutem Zustand. Die Motive wie z.B. Fische, Masken, Musikinstrumente und Waffen sind in Gelb, Grün, Orange, Türkis und Violett gemalt.
Im Londoner Victoria & Albert Museum befinden sich Reste reich verzierter Fliesenböden z.B. aus dem Dom zu Siena und vom 1509 für den Petrucci-Palast in Siena gefertigten Boden.
Im Palazzo Vecchio zu Florenz liegen heute noch in der Kapelle, die Papst Leo X. ausbauen ließ, Teilbereiche des zwischen 1513 und 1521 verlegten Fliesenbodens. Die Fliesen sind mit Arabesken im Relief dekoriert.
Die Böden der Kirchen Sant Angelo (Cappella del Crocefisso) in Perugia, San Francesco in Deruta (jetzt im Museo Civico von Deruta) und der Baglioni-Kapelle der Kirche Santa Maria Maggiore in Spello wurden zwischen 1524 und 1566 in Deruta gefertigt.

 

Azeitão / Portugal
Majolikatableau im Speisesaal der Quinta das Torres.
Szenen aus der Aeneis des Vergil (2,1 bis 804), Der Brand Trojas.
Das Tableau entstand um 1575 und wird Orazio Fontana aus Urbino zugeschrieben.

Azeitão / Portugal
Majolikatableau im Speisesaal der Quinta das Torres.
Szenen aus der Aeneis des Vergil (4,258 bis 705), Didos Tod.
Das Tableau entstand um 1575 und wird Orazio Fontana aus Urbino zugeschrieben.

 

Die Bodenbeläge der Renaissance waren nicht alle glasiert. Wesentlich widerstandsfähigere unglasierte Fliesenböden sind weniger auffallend aber nicht weniger interessant. Die Wirkung wird durch unterschiedliche Maße und Formen erzielt. Zum Teil sind die Böden auch zweifarbig - meist rot und gelb -. Bei einigen Böden wurden glasierte und dekorierte Fliesen eingearbeitet. Die schönsten Beispiele dieser Art befinden sich im Palazzo Venezia und der Kirche Santa Maria del Popolo in Rom, im Palazzo Vecchio zu Florenz sowie im herzoglichen Palast von Urbino.
Unglasierte Fliesen mit Einlagen andersfarbiger Tone haben die Wirkung von Intarsienarbeiten. Böden dieser Art finden sich im Palazzo Pitti zu Florenz, in Roms Engelsburg (z.B. Apollosaal und Bibliothek), dem Palazzo Ruspoli in Rom und den vatikanischen Borgiasälen.
Wenn bisher glasierte und unglasierte Fliesenbekleidungen und Fliesenbeläge besprochen wurden, sollen die z.B. vom Pisaner Francisco Niculoso gemalten Fliesentableaus oder die unterschiedlichsten Votivtafeln nicht nicht unerwähnt bleiben.
Im 17. Jahrhundert wurden Fliesenbekleidungen und Fliesenbeläge seltener. Sie kamen aber nicht ganz aus der Mode. In Sizilien wurde z.B. von Giuseppe Maxarato für die Kapelle San Giorgio dei Genovesi der Klosterkirche San Francesco in Sciacca ein Lambris von 1,25x7,00 m geschaffen. Von ursprünglich 376 Fliesen sind noch 301 Fliesen erhalten. Als die Kapelle 1952 abgebrochen wurde kam der Lambris mit sieben Szenen aus dem Alten Testament in die Kunstakademie von Sciacca.

Joab tötet den Feldhauptmann Amasa (2. Buch Samuel 20, Vers 8 bis 10).

 

Das Gleichnis vom reichen Mann und vom armen Lazarus (Lukas 16, Vers 20 bis 22)

 

In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts arbeiteten gerade die Fliesenwerkstätten in Caltagirone (bei Catania), Sciacca und Burgio auf der Mittelmeerinsel Sizilien besonders produktiv. Die Werkstätten in Burgio waren spezialisiert auf Votivtafeln und Tableaus mit Darstellungen der Madonna und von in Sizilien verehrter Heiligen. Für Sciacca sind die "mattoni di censo" typisch. Es sind Tafeln, die an die Hauswände angebracht wurden und bekundeten, an welche Kirche oder Kloster Geld entrichtet wurde. Im Museo dell'Istituto d'Arte per la Ceramica von Caltagirone sind besonders schöne Beispiele zu sehen. Die größte Übersicht der Keramikproduktion Siziliens bietet das Museo Diocesano von Palermo. Trotz der großen einheimischen Fliesenproduktion wurden noch große Mengen aus anderen Mittelmeergebieten eingeführt. Die spanische Stadt Valencia war bevorzugter Einkaufsplatz für hochwertige Fliesen. Noch heute heißen Fliesen mit durchscheinender farbiger Glasur auf Sizilien im Volksmund "mattoni di Valenza".
An der Schwelle des 18. Jahrhunderts ist die Keramikproduktion in den Abruzzen von höherem Niveau als in Sizilien. Berühmt war der Töpferort Castelli. Francesco Grue gab den Fliesen aus Castelli einen eigenen, von Faenza, Urbino und Gubbio ornamental und farblich abweichenden, Stil.
In der Zeit des Barock wurden die Majolikaböden und -wände immer seltener.
1640 schuf Benedetto Bocchi noch einen schönen Boden für den "Sala della Stufa" im Florentiner Palazzo Pitti.
Fliesenböden mit geometrischen Motiven oder/und Grotesken wurden noch hier und da für Herrenhäuser geschaffen. Schöne Beispiele sind im Palazzo von Castell'Alfero (Asti) und im Palazzo Ferniani in Faenza zu sehen. Reste eines Sieneser Bodens befinden sich im Victoria & Albert Museum, London.
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich Neapel zum Zentrum der Majolikaproduktion. Den besten Überblick über die neapolitanische Majolikaproduktion gibt die Sammlung des Ezio De Felice im Palazzo di Donn'Anna zu Neapel.
Ein in den Jahren 1727-36 für die Gerolomini-Bibliothek zu Neapel ausgeführter Bodenbelag besteht aus quadratischen Fliesen vermittelt aber den Eindruck vieler reichgeschwungener Medallions.
Beeindruckend ist auch der Majolikaboden in der Pfarrkirche von Schiazzano/ Massalubrense.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts waren nicht nur die Majolikaböden aus Neapel berühmt, sondern auch die aufwendig bemalten Wandbekleidungen aus den Fliesenmanufakturen Neapels.
Das reichste und großzügigste Beispiel ist der Kreuzgang des Chiostro delle Clarisse (Convento di Santa Chiara) in Neapel. Die Neapolitaner Keramiker Donato und Giuseppe Massa schufen in den Jahren 1741-42 diese Dekoration. Bemalte Fliesen zieren die Mauern, Bänke, Säulen und Brunnen. Allein vierundsechzig Landschaftsbilder mit Schäferszenen, Maskenfesten und mythologischen Szenen findet man auf den keramischen Lehnen der Bänke an den vier Seiten des Kreuzgangs.

 

Neapel, Convento di Santa Chiara

Domenico Antonio Vaccaro hat den im 14. Jahrhundert errichteten Kreuzgang in den Jahren 1739 bis 1742 in ein kleines Arkadien verwandelt. Gestalter der phantasiereichen keramischen Dekoration waren die Neapolitaner Donato und Giuseppe Massa.

 

Detail einer Säule aus dem Kreuzgang.

Detail des Sockels und der Basis eines Pfeilers aus dem Kreuzgang.

Ebenso faszinierend ist eine andere Arbeit eines Neapolitaners. Es ist dies der Boden in der Kirche in Anacapri. Er wurde 1761 von Leonardo Chiaiese nach einer Vorlage des Francesco Solimena geschaffen. Der Fliesenboden zeigt in großartiger Weise Pflanzen und Tiere des Gartens Eden und die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies.
Neben Neapel befanden sich weitere Zentren der Fliesenproduktion in Bassano, Lodi, Mailand, Savona und Venedig.

 

Fliesen aus dem Museo Internationale delle Ceramiche, Faenza

Quadratische Fliese 160 x 160 mm, Ferrara, 15. Jahrhundert.

 

Sechseckige Fliese um 1465, aus dem Dom von Capua, von Seite zu Seite 200 mm.

 

Quadratische Fliese für diagonal verlegten Boden mit einer Seitenlänge von 100 mm aus der Werkstatt der della Robbia (um 1507). Die Fliese war Teil eines Bodens in der Kirche von Monteoliveto, Neapel.

 

Fliese mit Zinnglasur und kobaltblauer Inglasur-Malerei, 135 x 135 mm,
Modena, 18. Jahrhundert

 

Fliese mit Zinnglasur und polychromer Malerei (Muffelbrand), 135 x 135 mm,
Modena, 18. Jahrhundert

 

Ab Mitte des 18. Jahrhunderts verdrängten niederländische und englische Einflüsse immer mehr die einheimischen Stilarten und Produktionen. So trennte sich zum Beispiel Rubati - der beste Mitarbeiter der Mailänder Werkstatt des Felice Clerici - um Imitationen nach englischen Vorbildern zu produzieren.
In der Werkstatt des Felice Clerici wurden die in den Niederlanden erfolgreiche Serien, wie z.B. Reiterfliesen, nach gleichen Kupferstichvorlagen gemalt.
Die Gründung von Porzellanmanufakturen und die zunehmende Chinamode waren weitere Gründe für den Rückgang italienicher Fliesenproduktion. So wurden von den Brüdern Giuseppe und Stefano Gricci aus Neapel Porzellanwände im Modetrend der Zeit für den kleinen Salon des Palazzo Reale in Portici und die Königspaläste in Madrid und Aranjuez geschaffen. Die Porzellanwände des Palazzo Reale in Portici befinden sich seit 1860 im Museum von Capodimonte bei Neapel.
Zum Ende des 18. Jahrhunderts gab es noch einmal eine Phase des Aufschwungs der Fliesenproduktion auf Sizilien. Aus dieser Zeit stammen die Böden der Kirchen Santissimo Salvatore und del Rosario in Caltagirone.
Die italienische Fliesenproduktion stagnierte dann bis zum Beginn frühindustrieller Fertigung von Wand- und Bodenfliesen und der Epoche "Jugendstil".